6:54 Uhr. Ich wollte mich gerade an die Milch-Pumpe setzen, da entdecke ich einen gerade entgangenen Anruf. Anonym. Die Intensivstation.

Ich bitte meinen Mann zurückzurufen. In der Nacht sei die Sauerstoffsättigung vom kleinen Mann so weit herunter gefallen, dass eine direkte OP unumgänglich sei. Zeit für das vorbereitende CT wäre nicht mehr. Zum Glück wäre ein Herzkatheter-Termin frei. Einer könne kommen, ihn begleiten.

Plan wäre per Herzkatheter (minimalinvasiv) den Ductus mit einem Stent zu stabilisieren, also offen zu halten. Sollte das nicht klappen, würde direkt im Anschluss die OP für einen Shunt angeschlossen. Das ist eine OP direkt am Herzen mit offenem Brustkorb, bei der eine künstliche Verbindung zwischen den beiden ausgehenden Gefäßen geschaffen wird, also analog zum Ductus.

Ich sitze gerade hier an der Milch-Pumpe, schreibe diese Zeilen und versuche zu überlegen, wie es mir geht.

Irgendwas zwischen Erleichterung „endlich passiert was“ und „lass eine OP am Herzen direkt nicht nötig sein“ ist es.

Mein Mann geht direkt rüber ins Klinikum und bleibt bei ihm bis zum Beginn des Eingriffs…

Das zweite Mal warten

Ich lese der großen Schwester zum Aufwachen noch etwas vor. Heute haben wir es nicht eilig. „Ich mach dich gesund“ von Janosch. Ein Klassiker, seit wir hier im Ronald McDonald Haus sind. Denn Bücher gibt es auch einige im Spielzimmer.

Nach dem Frühstück geht’s ins Spielzimmer…mit dem Arztkoffer spielen…es ist erst 9:10 Uhr. Wie soll dieser Tag je rumgehen!?

Der Papa durfte den Kleinen bis in den Vorraum der OP begleiten und noch mit den Anästhesisten sprechen. Dann kam er zurück zu uns ins Ronald McDonald Haus.

Wir hatten in „Wenn das Leben intensiv beginnt“ gelesen, dass man sich für Wartezeiten etwas schönes vornehmen sollte. Also rufen wir meine Schwester an und verabreden uns mit ihr in der Stadt. Shopping für die große Schwester, frische Luft und andere Eindrücke lenken uns gut ab.

Und wieder verhindert mein Gehirn zuverlässig das entstehen von Bildern im Kopf.

Zu Mittag holen wir uns leckere Pommes. Nervenfutter.

Wir wollen uns gerade zu dritt ins Bett hauen für eine Mittagspause, da klingelt das Telefon.

Der zweite Anruf

Wir erfahren, dass der Herzkatheter nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat und die Sättigung nicht über Mitte 70% gebracht werden konnte.

Da der kleine Kämpfer noch intubiert und sediert ist, schließen die Chirurgen nun die Shunt-OP direkt an. Eine OP am Herzen mit offenem Brustkorb. ?

Mein Verstand sagt: wenn stabilisieren, dann nachhaltig und vernünftig!

Mein Herz sagt: wir holen ihn da jetzt raus und fahren einfach nach Hause!

Aber der Verstand siegt. Ohne den Eingriff hat er keine Chance. Besser nur einmal aus der Narkose herauskämpfen als zwei Mal. Besser von der OP überrascht werden, als auch noch tagelang nervös darauf hinfiebern und hinzittern.

Nach vorne gucken, ändern können wir eh nichts. Wenn er sich aus diesem Nach-OP-Tal herausgekämpft hat, haben wir die erste schwierige Etappe geschafft. Er hat keine Schmerzen, dafür wird gesorgt. Er hat dafür nach der OP bessere Bedingungen um sich wieder zu erholen. Und wir haben endlich Gewissheit, nach den letzen Tagen in denen sein Zustand nur beobachtet wurde.

Und jetzt schließen sich wieder weitere Stunden des Wartens an. ?

Das dritte Warten

Zum Glück bin ich so Dauer-Erschöpft, dass ich mittags einschlafe, während der Papa der großen Schwester das neue Buch vorliest.

Den Nachmittag verbringen wir zu dritt im Spielzimmer. Als sich nach dem Abendessen immer noch niemand gemeldet hat, rufe ich auf der Intensivstation an, wo man sich wundert, dass uns das OP Team noch nicht informiert hat.

Die OP an sich wäre gut verlaufen, allerdings würde der kleine Kämpfer noch nicht mit den neuen Verbindungen klarkommen. Die Blutdrücke wären mal zu hoch mal zu tief. Sie hätten aktuell Schwierigkeiten ihn zu stabilisieren. Es wäre gut, wenn in einer Stunde jemand da sein könne.

Puh. Dass uns nach der OP kein strahlendes Baby erwartet, hatten wir ja schon gelernt, aber eine so ernste Lage hatten wir nicht erwartet.

Eine gute halbe Stunde später ruft uns doch noch einer der Kardiologen an. Sie bekämen den Kreislauf nicht stabil, sie würden den kleinen Kämpfer jetzt wieder an die ECMO, also die Herz-Lungen-Maschine hängen.

Mein Mann ist dann direkt los in Richtung Klinikum. Voller Sorge. Und ich habe zu Ende gepumpt, abwesend dabei der großen Schwester vorgelesen und sie danach ins Bett gebracht. Zum Glück ist sie eingeschlafen obwohl ich wie ein nervliches Wrack neben ihr lag.

Und dann habe ich meinen Joker gezogen. Wir wollten nach Aachen, weil meine Schwester hier wohnt. Und die hat sich dann neben meine schlafende Tochter gelegt. Kurz vor 21:00 Uhr war ich dann auch in der Klinik.

Und da habe ich mich neben meinen wartenden Mann ins Elternzimmer gehockt. Krampfhaft versuchend positiv zu denken. Es hat dann noch über eine Stunde gedauert, bis ich jemanden gefunden habe, der uns sagen konnte, wo unser Herzkind denn nun ist. Schwester Melanie hat uns einfühlsam befragt, ob wir wissen was auf uns zukommt. Und ist dann mit uns zu ihm gegangen.

Ihn da so liegen zu sehen, hat mich ganz schön getroffen. Zwar hatte ich mir vorher ein Bild gemacht, wie er nach der OP am Herzen aussehen würde , aber die Realität ist dann doch noch anders. Realität eben.

Zu den schon fast gewohnten Zugängen und der Intubation kommen nun noch die Zu- und Abgänge der ECMO hinzu. Und die sind direkt über den offenen Brustkorb angeschlossen.

Genau. Der Brustkorb ist noch offen. Nicht unüblich nach solchen OPs. Er ist nur mit einem übergroßen „Pflaster“ verschlossen.

Die Wassereinlagerungen sind dieses Mal wieder immens. Zu verschiedenen Medikamenten bekommt er auch noch Blutkonserven. Die Herz-Lungen-Maschine nimmt ganz schön Platz weg.

Wir dachten vorher schon, wir wären auf der Intensivstation gewesen. Aber nun wissen wir, was wirklich „Intensiv“ bedeutet.

Er sei auf „niedrigem Niveau stabil“ sagt uns die Ärztin. Die Lage wäre kritisch. Und nach dem ganzen negativen Gedanken, die ich kaum noch aus meinem Kopf verbannen konnte, klingt das doch positiv. Mein Gehirn sucht sich die Aussagen, die es verarbeiten kann gezielt heraus.

Nach einer knappe Stunde an seinem Bett, gehen mein Mann und ich nach Hause. Sie ist zurück. Diese zermürbende Hilflosigkeit, die mich schon nach der ersten OP erschlagen hat. Nur, dass es dieses Mal nicht für ein oder zwei Tage ist. Bis wir einen Aufwärtstrend erwarten können, werden Tage oder sogar Wochen vergehen. Wir wissen es nicht. Das Tempo bestimmt der kleine Kämpfer.

2 Comments

  1. Andrea 28. Mai 2022 at 06:28 - Reply

    Puh, da habt Ihr ei e Odyssee hinter Euch und noch immer keine absomute Entwarnung. Ich drücke weiterhin beide Daumen und denke an Euch!

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